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Keine Einigung über die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung / Einzelfragen geklärt

AG Gesundheit/Pflege legt Ergebnisse vor

Wichtige gesundheitspolitische Weichenstellungen sind auch neun Tage nach dem Start der Koalitionsverhandlungen innerhalb der Arbeitsgruppe Gesundheit/Pflege offen. Nach mehr als elfstündigen Beratungen überließen die Fachpolitiker am 16. Oktober die Kernfragen der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen sowie der künftigen Ausgestaltung von Hausarztverträgen im ambulanten Bereich der großen Koalitionsrunde.

Während die FDP den Fonds ablehnt und einen Einstig in ein System mit pauschalen Beiträgen will, lehnt die CSU dies weiterhin ab. „Wir wollen keine Kopfpauschale, für die die FDP große Sympathien hat“, so Markus Söder bayerischer Gesundheitsminister (CSU). Auch zum derzeitigen § 73b SGB V besteht zwischen den Fraktionen innerhalb der AG keine Einigung. Die FDP lehnt eine Verpflichtung zum Abschluss von Hausarztverträgen ab, damit der Grundsatz der Vertragsfreiheit sowie die freie Arztwahl nicht weiter ausgehöhlt werde. Die CDU sieht keinen Handlungsbedarf.

In vielen Einzelfragen konnte die Arbeitsgruppe jedoch Einigung erzielen. Wie aus einem „ersten Ergebnispapier“ der Unterhändler hervorgeht, sind sich Union und FDP darüber einig, dass die private Krankenversicherung (PKV) als Voll- und Zusatzversicherung erhalten bleiben soll. Ein Wechsel in die PKV soll künftig wieder nach einmaligem Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze möglich sein. Bisher stand Wechselwilligen dieser Weg erst nach drei Jahren offen. Auch will die nächste Bundesregierung die Auswirkungen des mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführten Basistarifs in der GKV „beobachten“.

Bei der Arzneimittelversorgung wollen Union und FDP auf Kosteneinsparungen hinwirken. Die Chancen innovativer Arzneimittel wolle man besser nutzen, ohne dabei die Finanzierung der Krankenversicherung zu gefährden. „Vereinbarungen zwischen Krankenversicherung und pharmazeutischen Herstellern können ein Weg sein, um dieses Ziel zu erreichen“, heißt es in dem Papier. Der Passus lässt sich auf die Debatte über die Einführung einer vierten Hürde im Arzneimittelmarkt beziehen.

Nach dem Papier der Arbeittsgruppe soll die Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) praktikabel nach klaren und eindeutigen Kriterien erfolgen. Die Arbeit des IQWIG werde auch unter dem Gesichtspunkt „stringenter, transparenter Verfahren“ überprüft.

Die AG hat sich auch darüber geeinigt, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht als Ordnungsrahmen grundsätzlich auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung findet. Union und FDP sehen bei Rabattverträgen, aber auch bei Fusionen von Krankenhäusern und Krankenkassen „Überprüfungsbedarf“. Soll damit der Konzentrationsprozess im stationären Sektor sowie der Weg zur Einheitsversicherung gestoppt werden?

Dieser Punkt dürfte auch für die PKV wichtig sein. Mit der Einführung neuer Wahlmöglichkeiten für gesetzlich Versicherte im Rahmen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes konnten die Krankenkassen stärker in Geschäftsfelder der Privaten vorstoßen – auch dies jedoch innerhalb des für die GKV geltenden sozialrechtlichen Ordnungsrahmens. Die Koalitionsunterhändler wollen nun PKV und GKV bei den Wahltarifen stärker von einander abgrenzen. „Wir werden bei den Wahltarifen der gesetzlichen Krankenversicherung die Abgrenzung zwischen diesen beiden Versicherungssäulen klarer ausgestalten und die Möglichkeiten ihrer Zusammenarbeit beim Angebot von Wahl-und Zusatzleistungen erweitern“, heißt es in dem Papier.

Klar beziehen die Unterhändler zur Freiberuflichkeit von Ärztinnen und Ärzten Stellung: „Die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit ist ein tragendes Prinzip für unsere Gesundheitsversorgung und sichert die Therapiefreiheit. Die freie Arztwahl durch die Patientinnen und Patienten ist dabei Ausdruck eines freiheitlichen Gesundheitswesens und die Basis für das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patientinnen und Patienten. Diese Struktur der ambulanten Versorgung wollen wir aufrechterhalten. Die Besonderheiten einer wohnortnahen Versorgung in ländlichen Bereichen werden dabei Berücksichtigung finden.“

Medizinische Versorgungszentren sollen nach dem Papier nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden. So sollen Geschäftsanteile nur von zugelassenen Ärzten sowie Krankenhäusern gehalten werden könne. Wesentlich dabei sei, dass die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte Ärzten zustehe und das MVZ von Ärzten verantwortlich geführt werden müsse.

Die Auswirkungen der Honorarreform der Ärzte sollen überprüft werden „Dabei werden regionale Besonderheiten Berücksichtigung finden“, heißt es. In diesem Punkt dürfte sich die CSU bei den Verhandlungen durchgesetzt haben. Zudem schlagen die Unterhändler vor, die Möglichkeiten für Kostenerstattung auszuweiten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollten künftig mehr „Flexibilität bei der Gestaltung der Vergütung erhalten, um den Versorgungsauftrag vor Ort besser Rechnung tragen zu können“. Dies setzt allerdings Neujustierungen beim Gesundheitsfonds voraus, um den KVen die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten zu geben.

Noch unkonkret sind die Vorstellungen der Fachpolitiker zur Zukunft des Sicherstellungsauftrages. „Um der gemeinsamen Verantwortung für regionale Bedürfnisse und Strukturen besser gerecht zu werden, wollen wir fachliche Einwirkungsmöglichkeiten für die Länder prüfen.“ Diese Passage ist auch vor dem Hintergrund der Bestrebungen der Länder von Interesse, eine künftige Neuregelung bei der Sicherstellung im ambulanten und stationären Sektor prüfen zu wollen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe haben die Gesundheitsminister der Länder auf ihrer letzten Gesundheitsministerkonferenz bereits eingesetzt.

Für den Krankenhaussektor sehen Union und FDP den Ausbau des Belegarztwesens vor sowie eine „kritische Überprüfung“ des § 116b SGB V. Die Vorgaben sollen „gegebenenfalls präzisiert“ werden.

Die Unterhändler kündigen in ihrem Papier ein Patientenschutzgesetz an, „das wir in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen erarbeiten werden“.

Hingegen treten die Fachpolitiker bei der elektronischen Gesundheitskarte auf die Bremse: In Bezug auf den Aufbau einer Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen äußerten sich die Mitglieder der AG dahingehend, dass vor einer weitergehenden Umsetzung eine Bestandsaufnahme vorzunehmen sei. Alles soll diskutiert und ergebnisoffen geprüft werden. Erst im Anschluss daran könne entschieden werden, ob eine Weiterarbeit auf Grundlage der derzeitigen Strukturen möglich und sinnvoll sei.

Weitere Punkte des Ergebnispapiers waren zudem die Förderung der Organspendebereitschaft, eine verantwortungsbewusste Drogen- und Suchtpolitik, die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung und der Ausbau einer systematischen Versorgungsforschung.

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