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Sachverständige sehen Gesundheitspläne mit Skepsis

Das am Freitag vorgestellte Jahresgutachten des Sachverständigenrates stellt der bisherigen Gesundheitspolitik kein gutes Zeugnis aus. Mit dem Gesundheitsfonds sei das Ziel, die Beiträge zur Krankenversicherung von den Löhnen abzukoppeln, verfehlt worden, so das Gutachten mit dem Titel „Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen“. Zwar begrüßt der Sachverständigenrat grundsätzlich die Pläne der neuen Regierung, einkommensunabhängige Beiträge für Arbeitnehmer einzuführen, jedoch komme es „entscheidend“ auf die Ausgestaltung an.

Auf der Ausgabenseite der GKV sehen die Wirtschaftsweisen Reformbedarf. Insbesondere die dualistische Krankenhausfinanzierung wird als „Baustelle“ angesehen, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen führe und „ineffizient“ sei. Das Gesetz zur Krankenhausfinanzierung sei nur ein erster Schritt gewesen, so das Gutachten.

Nachfolgend die Aussagen des Sachverständigengutachtens zum Bereich Gesundheit:

Start des Gesundheitsfonds - vor der nächsten Reform

Am 1. Januar 2009 ist mit dem Gesundheitsfonds das vermeintliche Kernstück der finanzierungsseitigen Reform des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes gestartet. Allerdings ist mit dem Start weder die vom Sachverständigenrat geforderte Einführung eines einheitlichen Krankenversicherungsmarkts, noch die dringend notwendige Abkoppelung der Beiträge von den Löhnen umgesetzt worden. Vielmehr behindert die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitsfonds den angestrebten intensiveren Kassenwettbewerb und kann sogar zu perversen Wettbewerbseffekten führen (JG 2006 Ziffern 285 ff.). Auf der Ausgabenseite sind ebenfalls keine nennenswerten Reformen durchgeführt worden. Mit dem Krankenhaus-finanzierungsreformgesetz wurde lediglich ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht. Im Hinblick auf mehr Wettbewerb bei der Distribution von Arzneimitteln müsste die deutsche Politik selbst aktiv werden, nachdem der Europäische Gerichtshof das Fremdbesitzverbot von Apotheken in Deutschland weitgehend bestätigt hat. Da keines der im Gesundheitssystem bestehenden Probleme gelöst wurde, ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung die Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes zu einem ihrer thematischen Schwerpunkte machen will - dringender Handlungsbedarf besteht allerdings auch auf der Ausgabenseite.

Finanzsituation

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2009 haben die gesetzlichen Krankenkassen einen Überschuss von gut 1,2 Mrd Euro erzielt; Gesamteinnahmen von 85,0 Mrd Euro standen Gesamtausgaben von 83,8 Mrd Euro gegenüber. Dabei haben sich im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr die Leistungsausgaben um 5,9 vH erhöht. Von diesen haben sich die Ausgaben für Arzneimittel mit einem Anstieg von 5,3 vH und die Ausgaben für Krankenhausbehandlung mit einem Anstieg von 5,6 vH unterdurchschnittlich entwickelt, während die Ausgaben für ärztliche Behandlung mit 7,3 vH überdurchschnittlich gewachsen sind - eine Folge der Neuordnung der Vergütungsstrukturen bei der ambulanten ärztlichen Versorgung. Es ist zu erwarten, dass die Zuweisungen, die die Kassen in diesem Jahr aus dem Gesundheitsfonds erhalten - insgesamt 167,6 Mrd Euro -, ausgabendeckend sein werden und die gesetzlichen Krankenkassen das Jahr 2009 mit einem stabilen Finanzergebnis beenden können. Der Schätzerkreis prognostizierte im Oktober dieses Jahres, dass die Kassen im Jahr 2009 etwa 0,5 Mrd Euro mehr an Zuweisungen erhalten werden als sie zur hundertprozentigen Ausgabendeckung benötigen. Folglich können sie ihre Finanzreserven weiter aufstocken.

Die Zuweisungen, die die Kassen erhalten und die im ersten Halbjahr 2009 knapp 83 Mrd Euro betrugen, werden vom Gesundheitsfonds ausgezahlt, der sie aus den Beitragseinnahmen und Bundeszuschüssen aufbringen muss. Und auf der Einnahmeseite des Gesundheitsfonds machen sich die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise bemerkbar: So musste bereits im ersten Halbjahr 2009 zur Ausgabendeckung von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, monatliche Bundeszuschussraten vorzuziehen.

Da dies nicht unbegrenzt möglich ist, ist davon auszugehen, dass der Gesundheitsfonds in der Mitte des nächsten Halbjahrs ein Liquiditätsdarlehen des Bundes in Anspruch nehmen muss. Dieses ist aufgrund einer Regelung im Konjunkturpaket II erst Ende des Jahres 2011 zurückzuzahlen. Der Schätzerkreis ging im Oktober 2009 davon aus, dass sich dieses Liquiditätsdarlehen auf 2,3 Mrd Euro belaufen wird. Somit muss der Gesundheitsfonds bereits sein erstes Jahr mit einem Defizit beenden. Als weitere Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen des Konjunkturpakets II zum 1. Juli 2009 paritätisch um 0,6 Prozentpunkte abgesenkt. Gegenfinanziert wird diese Maßnahme durch einen schnelleren Anstieg des Bundeszuschusses. Dieser wird im Jahr 2009 auf nunmehr 7,2 Mrd Euro und im Jahr 2010 auf 11,8 Mrd Euro steigen.

Weiterhin Handlungsbedarf auf der Einnahmeseite

Die Einführung des Gesundheitsfonds verfehlt das Ziel einer Abkoppelung der Beiträge zur Krankenversicherung von den Löhnen. Denn die Beiträge der Versicherten werden weiterhin auf Basis des beitragspflichtigen Einkommens bis zur Bemessungsgrenze berechnet. Allerdings gilt für alle gesetzlich Krankenversicherten ein einheitlicher Beitragssatz von aktuell 14,9 vH, von denen 0,9 Prozentpunkte von den Arbeitnehmern aufgebracht werden, während sich die verbleibenden 14 Prozentpunkte paritätisch auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilen. Mit der vom Sachverständigenrat in früheren Gutachten vorgeschlagenen pauschale würden dagegen Beitragserhöhungen nicht mehr automatisch zu einem Anstieg der Lohnnebenkosten führen. Zudem ginge von einem pauschalen Beitrag ein echtes Preissignal aus, das den Wettbewerb zwischen den Kassen beleben und damit die Effizienz im Gesundheitssystem erhöhen würde.

Mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Einführung von einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen wird ein Weg hin zu einer Abkoppelung der Krankenkassenbeiträge von den Lohnkosten eingeschlagen, der grundsätzlich zu begrüßen ist. Entscheidend für die Beurteilung dieses Vorschlags wird aber letztlich die konkrete Ausgestaltung sein.

Die Schaffung eines einheitlichen Versicherungsmarkts ist auch in diesem Jahr nicht vorangekommen. Dieser wäre für einen funktionierenden Kassenwettbewerb notwendig, denn nur so kann eine wettbewerbsschädliche Risikoentmischung, in dem Sinne, dass Gesunde mit hohen Einkommen und ohne mitzuversichernde Familienangehörige in die Private Krankenversicherung wechseln und „schlechte“ Risiken in der Gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben, vermieden werden. Zudem ist die Versicherungspflichtgrenze nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip zu rechtfertigen (JG 2008 Ziffer 678).

Nach Ansicht des Sachverständigenrates muss es weiterhin das Ziel der Politik sein, einen einheitlichen Versicherungsmarkt zu etablieren. Die Abkoppelung der Krankenkassenbeiträge von den Lohnkosten ist prinzipiell positiv zu beurteilen, wenngleich es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen wird. Aus Sicht des Sachverständigenrates kann der Gesundheitsfonds als Ausgangspunkt für die Etablierung der von ihm empfohlenen Bürgerpauschale dienen. Dazu wäre zunächst die Fehlgestaltung der Zusatzbeiträge zu beseitigen; diese sollten ausschließlich als Pauschalen erhoben werden und nicht vom Einkommen, Gesundheitsrisiko und Familienstand der Versicherten abhängen (JG 2006 Ziffern 285 ff.). Im zweiten Schritt wären dann die Segmentierung des Krankenversicherungsmarkts zu beenden und die einkommensabhängigen Beiträge durch die Bürgerpauschale zu ersetzen. Gleichzeitig ist ein versicherungsexterner steuerfinanzierter sozialer Ausgleich einzuführen.

…und auf der Ausgabenseite

Aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts und der demografischen Entwicklung ist auch zukünftig mit einem Anstieg der Gesundheitsausgaben zu rechnen. Folglich ist es von erheblicher Bedeutung, vorhandene Sparpotenziale auszuschöpfen und auf der Ausgabenseite die Effizienz zu erhöhen.

So führt die bisherige dualistische Krankenhausfinanzierung, die vorsieht, dass vorrangig die Bundesländer für die Investitionskosten der Krankenhäuser aufkommen und die Betriebskosten über pauschalierte Pflegesätze von den Kassen getragen werden, zu Wettbewerbsverzerrungen und ist ineffizient (JG 2008 Ziffern 687 ff.). Um daraus resultierende Effizienzreserven heben zu können, hat sich der Sachverständigenrat bereits mehrfach für den Übergang zu einer monistischen Krankenhausfinanzierung ausgesprochen. Diese könnte durch Investitionszuschläge auf die diagnosebezogenen Fallpauschalen umgesetzt werden. Einen ersten Schritt in diese Richtung hat die Bundesregierung mit dem Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Krankenhausfinanzierungsreformgesetz - KHRG) gemacht, das am 18. Dezember 2008 vom Bundestag verabschiedet wurde und am 13. Februar 2009 den Bundesrat passiert hat. Demnach können die Länder die Investitionsfinanzierung ab 2012 auf Pauschalen umstellen. Obwohl die den Ländern eröffnete Wahlmöglichkeit zu kritisieren ist, kann das KHRG als Einstieg in die monistische Krankenhausfinanzierung gewertet werden. Problematisch ist allerdings, dass sich die Investitionspauschalen aus zwei Komponenten zusammensetzen sollen, von denen eine bundeseinheitlich und die andere bundeslandspezifisch ermittelt werden soll. Denn eine Differenzierung nach Bundesländern ist ökonomisch nicht zu begründen.

Durch das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken wird trotz der Zulassung von Versandapotheken seit dem Jahr 2004 und der Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand für nicht verschreibungspflichtige Medikamente eine weitgehende Ausschließlichkeit der eigentümergeführten Präsenzapotheke gewährleistet. Dabei folgt aus dem Fremdbesitzverbot, dass Apotheken nur von selbständigen Apothekern und nicht von Kapitalgesellschaften betrieben werden dürfen. Aus dem Mehrbesitzverbot wiederum resultiert, dass ein Apotheker lediglich eine Hauptapotheke und drei regional beieinander liegende Filialapotheken betreiben darf. Apothekenketten, die den Wettbewerb bei der Distribution von Arzneimitteln stimulieren würden, werden auf diese Weise verhindert. Da die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Mai 2009, dass das Fremdbesitzverbot in Deutschland nicht gegen Europäisches Recht verstößt (AZ C-171/07 oder C-172/07), das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken in Deutschland unbeschadet lässt, wäre es die Aufgabe der Politik, dieses in Frage zu stellen. Denn mit der Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs können Effizienzreserven gehoben werden, die den Ausgabenanstieg im Bereich der Arzneimittel begrenzen würden. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP bestätigt demgegenüber das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken. Dieser Schutz von Partikularinteressen ist aus Sicht des Sachverständigenrates abzulehnen. Wichtiger wäre es dagegen, dass die Koalitionäre nicht nur finanzierungsseitige, sondern insbesondere auch ausgabenseitige Reformen angehen.

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