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Wirtschaftsweise legen Jahresgutachten vor

Berlin, 10.11.2010

Gesundheitsreform: Nur kurzfristige Erfolge


Chancen für einen stabilen, wenngleich eher flachen Wachstumspfad, attestiert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Wirtschaft in seinem heute veröffentlichten Jahresgutachten 2010/11. Die fünf „Wirtschaftsweisen” gehen für 2010 von einem Wirtschaftswachstum in Höhe von 3,7 Prozent aus. Für das kommende Jahr sagen sie weitere 2,2 Prozent Wachstum voraus.

Den Reformanstrengungen im Gesundheitssystem bescheinigte der Rat zwar kurzfristige Erfolge, die wichtigsten Probleme würden jedoch weitgehend fortbestehen. So würden mit dem GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG) – trotz zuvor gegenteiliger Ankündigungen – im Wesentlichen auf altbekannt, kurzfristig wirksame Maßnahmen wie das Einfrieren oder Begrenzen von Ausgaben, Zwangsrabatte bei Arzneimitteln und insbesondere Beitragssatzerhöhungen zurückgegriffen. Ob der Übergang zu einer in größerem Maße einkommensunabhängigen Finanzierung der GKV mit integriertem Sozialausgleich in der Realität auch vollzogen wird, werde sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Die eingeleiteten Schritte sollten aber konsequent umgesetzt und ergänzt werden. „Der Versuchung, diesen Übergang beim Auftreten künftiger Finanzierungsengpässe mittels einer weiteren Beitragserhöhung zu verzögern, sollte die Bundesregierung nicht nachgeben, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt das Ende der Legislaturperiode herannaht“, schreiben die Wirtschaftsweisen. Perspektivisch erweise sich das GKV-FinG als Basis für künftige Kompromisse bei der Weiterentwicklung der GKV-Finanzierung, da ohne grundsätzlichen Eingriff in das System Anpassungen der Beitragssätze oder der Zusatzprämien möglich seien.

Aus Sicht des Sachverständigenrates muss es der Politik gelingen, bestehende Fehlanreize zu beseitigen. Diese existieren insbesondere für Versicherte, für die es bei der derzeitigen Ausgestaltung des Systems rational ist, eine exzessive Nachfrage nach Gesundheitsleistungen an den Tag zu legen. Zudem sei es notwendig, den Wettbewerb unter den Leistungserbringern zu stärken, um auf diese Weise die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern.

Die Ökonomen begrüßen es, dass die Bundesregierung mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eine Dauerbaustelle des Gesundheitswesens angegangen hat. Positiv bewertet der Rat dabei die langfristige Neuordnung des Arzneimittelmarktes durch eine Fokussierung auf Nutzenbewertungen und insbesondere Verhandlungslösungen. Problematisch sei allerdings, dem Hersteller das Erbringen des Nutzennachweises zu übertragen und einen derart engen Zeitrahmen für die Entscheidung über einen Zusatznutzen zu setzen. „Denn es ist fraglich, ob in dieser Zeit die für eine Bewertung notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in ausreichendem Maße vorliegen können“, heißt es in dem Gutachten. Notwendig sei zudem nicht nur eine Nutzen-, sondern auch eine Kosten-Nutzen-Bewertung. Äußerst kritisch bewerten die Sachverständigen auch die Bestrebungen, dass nicht der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), sondern das Bundesministerium für Gesundheit zukünftig entscheiden soll, ob der behauptete Zusatznutzen eines Arzneimittels anerkannt wird. Die Bewertung durch eine unabhängige Einrichtung sei in diesem Zusammenhang sehr wichtig.

Pflegeversicherung: Auf dem Weg ins Defizit


Der Sachverständigenrat fordert die Bundesregierung zudem auf, auch im Bereich der sozialen Rentenversicherung Reformen umzusetzen. Nach Ansicht der Experten sind weitere Ausgabensteigerungen und eine Verschlechterung der finanziellen Situation zu erwarten. Mit einer Reform sollten einkommensunabhängige Beiträge mit integriertem, steuerfinanzierten Sozialausgleich etabliert werden. Alternativ könnten höhere Beitragssätze für Rentner die intergenerative Umverteilung, die zulasten jüngerer Kohorten geht, reduzieren.

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