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Erstprüfungen in allen 24 Leberzentren abgeschlossen

04. September 2013

Überprüfung der Lebertransplantationsprogramme zeigt, dass die Maßnahmen für mehr Kontrolle und Transparenz in der Trans-plantationsmedizin greifen.

Die Vor-Ort-Prüfungen aller 24 Lebertransplantationsprogramme in Deutschland durch die Prüfungskommission und die Überwachungskommission von Bundesärztekammer,
Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband sind abgeschlossen. In vier Transplantationszentren wurden schwerwiegende Richtlinienverstöße unterschiedlicher Ausprägung festgestellt. In zwanzig Transplantationszentren wurden keine Richtlinienverstöße, beziehungsweise nur solche Richtlinienverstöße festgestellt, bei denen sich aufgrund der Umstände des Einzelfalls oder der geringen Anzahl kein Verdacht auf systematische oder bewusste Falschangaben zur Bevorzugung bestimmter Patienten ergab. Darauf verwiesen die Kommissionsvorsitzenden, Anne-Gret Rinder, Vorsitzende Richterin am Kammergericht i. R., und Prof. Dr. Dr. Hans Lippert, heute in Berlin. Die Ergebnisse wurden zusammen mit dem Kommissionsbericht 2012/2013 der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Prüfungen sind Teil des nach dem Transplantationsskandal im Sommer 2012 auf neuer gesetzlicher Grundlage ausgeweiteten Kontrollsystems im Transplantationswesen.
„Durch die neu geschaffenen Kontrollmöglichkeiten konnten wir schnell und angemessen auf die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Manipulation von Patientendaten reagieren“, sagte Rinder.
„Positiver Effekt der Vor-Ort-Prüfungen ist im Zusammenhang mit der Einführung der interdisziplinären Transplantationskonferenzen bereits jetzt eine Verbesserung der formalen Abläufe sowie der Dokumentationen“, ergänzte Lippert.
Nach Einschätzung der Kommissionsvorsitzenden ist für die Jahre 2012 und 2013 mit einer deutlich geringeren Anzahl von Richtlinienverstößen zu rechnen.

Die Kommissionsvorsitzenden erläuterten: Nach einer Vor-Ort-Prüfung werde ein Bericht erstellt, der die Feststellungen und Wertungen der Kommissionen enthält.
Dieser Bericht werde zur Gewährung rechtlichen Gehörs unter Fristsetzung an die für das Lebertransplantationsprogramm eines Zentrums verantwortlichen Ärzte übersandt. Die Kliniken hätten Gelegenheit, zu wesentliche Kritikpunkten Stellung zu beziehen. Der abschließende Kommissionsbericht werde anschließend jeweils dem Ärztlichen Direktor des Universitätsklinikums, den zuständigen Landesbehörden sowie der Landesärztekammer und gegebenenfalls der zuständigen Staatsanwaltschaft zugeleitet.
Schwerwiegende Richtlinienverstöße stellten die Prüfer in der Universitätsklinik Göttingen und Leipzig sowie in zahlenmäßig geringerem Ausmaß in München rechts der Isar und Münster fest. Diese Verstöße hatten zur Folge, dass für bestimmte Patienten die Dringlichkeit zur Lebertransplantation erhöht wurde und sie damit auf der Warteliste weiter nach vorne rückten.
„Allerdings ist es in einigen Zentren auch um grenzwertige oder nicht mehr richtlinienkonforme Indikationen gegangen“, erläuterte Prof. Dr. Hans Lilie, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer und Mitglied des Prüfteams. „Einschlägig waren Angaben zu möglichen Einschränkungen der Aufnahme in die Warteliste, Angaben von Laborwerten zur Be-rechnung des MELD-Scores, Angaben im Zusammenhang mit der Beantragung einer sogenannten Standard Exception oder des beschleunigten Vermittlungsverfahrens sowie Angaben zu Dialysepatienten.“ Lilie kündigte an, dass die Ergebnisse der Prüfungen in der Ständigen Kommission Organtransplantation schnellstmöglich ausgewertet werden.

„Die MELD-basierte Leberallokation ist komplex und bedarf deshalb einer entsprechenden Expertise, um den individuellen und aktuellen Gesundheitszustand der Patienten bezüglich des MELD-Scores abzubilden. Entsprechend muss auch das Allokationssystem als dynamisches beziehungsweise lernendes System verstanden werden“, so Lilie. Deshalb sei die Ständige Kommission Organtransplantation mit der Weiterentwicklung des MELD-basierten Leberallokationssystems, nicht aber mit der Erarbeitung eines alternativen Modells befasst. Auch in den USA werde entsprechend verfahren. National wie international werde beispielsweise die Einbeziehung weiterer Parametern und MELD-Änderungen, die Revision der Ausnahmeregelungen sowie die Entwicklung von zusätzlichen Scores zur Einschätzung der Erfolgsaussicht nach Lebertransplantation erörtert.

Rinder, Lippert und Lilie betonten die gesetzliche Legitimation und den gesetzlichen Auftrag der Prüfungskommission und der Überwachungskommission sowie der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Sie sehen eine wesentliche Aufgabe darin, mit den Kontrollen Chancengleichheit und Gerechtigkeit im Transplantationswesen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang erläuterte Rinder, dass sich insgesamt keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass privatversicherte Patienten oder sogenannte Non-Residents bevorzugt behandelt und transplantiert worden wären. Auch haben sich keine Bedenken gegen das beschleunigte Vermittlungsverfahren als Verfahrensart ergeben.
Als wenig hilfreich wertete Prof. Dr. Ruth Rissing-van Saan, Leiterin der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin und Sonderprüferin der Prüfungs- und der Überwachungskommission, unsachliche Einlassungen zur Legitimation und zum Verfahren der Kommissionen. „Wer die Aufarbeitung des Transplantations-skandals ständig versucht zu skandalisieren, kann oder will nicht verstehen, welch sensibler Bereich die Transplantationsmedizin ist und dass es rechtsstaatliche Grundsätze sind, die unser Vorgehen leiten“, so die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof i.R.. Dieses Vorgehen stoße auch bei Selbsthilfegruppen der Organtransplantierten oder bei Angehörigenverbänden auf absolutes Unverständnis.

Um dem Auftrag des Gesetzgebers und dem besonderen Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu entsprechen, veröffentlichen die Prüfungskommission und die Überwachungskommission in ihrem Jahresbericht auch sämtliche Stellungnahmen zu bisherigen Prüfungen in anonymisierter Form. Vorgesehen ist, dass alle 46 Zentren mit ihren gut 140 Transplantationspro-grammen mindestens einmal in einem Zeitraum von 36 Monaten vor Ort geprüft werden.

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